Warum Haushalte seit Jahrzehnten die Stromrechnung der Industrie mitbezahlen

Admin User
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Eine Stadtansicht mit zahlreichen Gebäuden, Bäumen, einem Berg im Hintergrund, einem klaren Himmel, einem Strommast mit Drähten und Grünflächen einschließlich Pflanzen und Gras.

Warum Haushalte seit Jahrzehnten die Stromrechnung der Industrie mitbezahlen

Deutschlands Strompreissystem begünstigt seit langem Großverbraucher auf Kosten der Haushalte

Seit den 1980er-Jahren haben politische Entscheidungen und Kostenverteilungsregeln die finanzielle Last zunehmend auf kleinere Verbraucher abgewälzt. Noch heute profitieren tausende energieintensive Unternehmen von Ausnahmen – teilweise seit Jahrzehnten –, während Haushalte mehr zahlen müssen.

Neue Erkenntnisse zeigen, wie frühere Vorschriften und Infrastrukturentscheidungen anhaltende Ungleichgewichte auf dem Energiemarkt geschaffen haben.

In den 1980er-Jahren bauten deutsche Energieversorger deutlich mehr Kraftwerkskapazitäten auf, als tatsächlich benötigt wurden. Die Stromtarifverordnung von 1980 garantierte ihnen stabile Gewinne und trieb sie dazu, überdimensionierte Großanlagen zu errichten. Die hohen Investitionskosten wurden über die Stromtarife auf die Haushalte umgelegt, während die Industrie von günstigeren Betriebskosten profitierte und so die Preise für Großabnehmer drückte.

Das System stützte sich zudem auf Hochspannungsleitungen, um diese Kraftwerke zu versorgen. Industrielle Kunden trugen etwa die Hälfte der Infrastrukturkosten, die restliche Last mussten kleinere Verbraucher schultern. Die Regulierungsbehörden konzentrierten sich damals vor allem darauf, die Preise zu kontrollieren, statt zu hinterfragen, ob neue Kraftwerksprojekte überhaupt notwendig waren. Energieversorger überzeugten die Behörden häufig davon, dass zusätzliche Kapazitäten unverzichtbar seien – selbst wenn bereits ein Überschuss bestand. Bis in die 2000er-Jahre hinein überstieg Deutschlands steuerbare Kraftwerkskapazität 100 Gigawatt – deutlich mehr als die Spitzenlast von rund 80 Gigawatt. Diese Überkapazität, kombiniert mit dem Bedarf an Reservekraftwerken, führte zu einer Reservequote von etwa 25 Prozent, selbst nach dem Atomausstieg 2011. Großkraftwerke birgt zudem Risiken für die Versorgungssicherheit, wie der große Stromausfall in Frankreich 1985 zeigte, als gleichzeitig 6.200 Megawatt ausfielen.

Die Privilegien für Großverbraucher bestehen seit Jahren fort. Noch 2014 waren über 4.000 Unternehmen vollständig von Netzentgelten befreit. Bis Dezember 2025 werden viele Industriezweige – darunter Aluminium, Stahl und Chemie – weiterhin teilweise oder vollständig von der EEG-Umlage und Netzentgelten entlastet. Diese Ausnahmen fallen unter langjährige Regelungen wie §19 StromNEV und §63 EEG, wobei die Berechtigung im Einzelfall von Behörden und Netzbetreibern geprüft wird. Schon das 1985 erschienene Buch „Energiewende“ thematisierte diese strukturellen Probleme und schlug Lösungsansätze vor. Doch die Vorschläge wurden damals nie vollständig umgesetzt.

Das heutige System trägt noch immer die Züge von Entscheidungen aus vergangenen Jahrzehnten. Großindustrie zahlt nach wie vor weniger für Strom, während Haushalte und kleine Unternehmen die verbleibenden Kosten tragen. Regulatorische Ausnahmen und veraltete Infrastrukturentscheidungen zementieren diese Schieflage – selbst wenn sich die deutsche Energiepolitik weiterentwickelt.

Die nächsten Schritte bei der Reform dieser Regeln hängen davon ab, wie die Politik die langfristigen Folgen von Überkapazitäten, Kostenverlagerung und Unternehmensprivilegien angeht.